Ein Gastbeitrag von Birgit Berkenbrück

Ich hatte 2007 ein Burnout. Ich habe es nicht so genannt, sondern gesagt: Mir geht es schlecht, ich halte es nicht mehr aus, ich kann nicht mehr arbeiten. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber es ist ernst. Sehr ernst. So ernst, dass ich manchmal nur noch sterben möchte.

Was ist mit mir los?

Dieser Zustand war nicht jeden Tag so dramatisch. Aber die „schlechten“ Phasen waren so besorgniserregend, dass ich eine psychosomatische Reha beantragte: Ich wollte herausfinden, was mit mir los ist. Dazu reichte die ambulante Therapie nicht aus. Den Alltag bewältigte ich nur noch mit größter Mühe und Reduzierung der Wochenarbeitszeit.

Psychosomatische Reha

Die Reha war ganz wunderbar, es war eine Zwölf-Schritte-Klinik im Allgäu und danach ging es mir erst mal ein paar Monate viel besser. Aber herausgefunden, was wirklich mit mir los ist, hatte ich da nicht. Und war deswegen auch etwas enttäuscht von den dortigen Therapeutinnen.

Was wir in der Reha gemacht hatten, versuchte ich in Selbsterfahrungskursen weiter zu machen: Bonding, emotionale Kompetenz, radikal ehrlich über Gefühle sprechen, Körperkontakt als wichtiger Faktor für Wohlergehen und Entspannung.

Das Kindheitstrauma

Und dann kam es: Das Trauma. Das Kindheitstrauma kam hoch mit einem Flashback, den ich erst nicht als solchen einordnen konnte, ja gar nicht wusste, was das ist. Der zweite Flashback, gefolgt von großer Verwirrung und der Frage: Kann das sein? Kann es sein, dass ich als kleines Mädchen missbraucht wurde?

Glücklicherweise war ich jede Woche in Psychotherapie und mein Therapeut meinte nur: Kann sein. Kann auch nicht sein. Wochen später sagte er: Man kann sich falsch erinnern. Aber der Körper lügt nicht. Wenn dein Körper Angst zeigt bei bestimmten Auslösern, das kannst du dir nicht einbilden.

Traumaheilung

So begann mein Heilungsweg, und die erste Zeit war ich nicht sicher, ob ich ihn überlebe. So schlimm es war, so froh war ich, endlich gefunden zu haben, worunter ich lebenslang litt und was mir niemand erklären konnte.

Viele Jahre der Traumaheilung folgten, und heute geht es mir so gut wie nie zuvor. Die Lebens- und Liebesqualität hat sich erheblich verbessert, auch wenn heute natürlich auch nicht jeden Tag „Sonnenschein“ ist.

„Burnout gibt es nicht“

„Es gibt keine Diagnose Burn-out“, sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig. Sondern es handele sich vielmehr um eine Depression.

Dem stimme ich aus meiner Sicht zu. Ich jedenfalls habe heute keine schweren Depressionen, keine Suizidgedanken und keine Angstzustände mehr. Mein Leben hat sich in allen Bereichen deutlich spürbar verbessert durch die Auflösung des Traumas.

Mein Burnout war ein großer Glücksfall – falls man bei diesem Begriff bleiben möchte. Die Zwölf-Schritte-Gruppen nennen es Kapitulation: Der Punkt, wo nichts mehr geht. Wo man merkt: Jetzt schaffe ich es nicht mehr alleine.

Krise als Chance

In diesem Sinne möchte ich jeden ermutigen, die Anzeichen ernst zu nehmen und sich Hilfe zu holen. Es könnte das Leben nachhaltig positiv verändern. Auch wenn es ein schwieriger und langwieriger Weg ist. Ich bin ihn gegangen und bin froh und stolz darauf. Deshalb habe ich meinen Heilungsweg als Blog veröffentlich: TagebuchTraumaheilung

Interview mit Birgit

Da mich Birgits Blogbeitrag sehr berührt hat, war es mir gleich ein Anliegen, noch ein kurzes schriftliches Interview mit Birgit zu führen. Meine Fragen und ihre Antworten findest du hier:

Birgit, du schreibst, dass Burnout eine Form der Depression ist. Das sehe ich ähnlich. Für mich ist ein Burnout eine Folge von emotionalen, psychischen oder physischen Grenzüberschreitungen bzw. Missbrauch, aus denen sich eine (schwere) Depression entwickeln kann. Wie siehst du das?

Ich denke, dass viele Depressive ihre Traumata nicht verarbeitet haben. Das ist meine persönliche Erfahrung und das beobachte ich immer wieder im Freundeskreis und in Therapiegruppen. Es ist unglaublich anstrengend, mit einem Trauma zu leben, oder mit einer Persönlichkeitsstörung (was oft Folge von Traumatisierung ist). Das führt dann zum sogenannten Burnout.

Schwer zu sagen, ob Traumatisierung notwendigerweise zum Burnout führt oder ob traumatisierte Menschen z.B. im Beruf nicht gut für sich sorgen und „zuviel“ arbeiten. Oder ob sie sich in Arbeit flüchten, um ihre Ängste, ihre Einsamkeit oder ihre Minderwertigkeitsgefühle nicht zu spüren.

Ich erinnere mich an den ersten Tag meiner Reha. Ein anderer Patient fragte mich: „Weshalb bist du hier? Ich bin wegen Burnout hier. Hab zu viel gearbeitet“. Tatsächlich waren wir alle in der Gruppe „Depression“, wie ich später erfuhr. In der Gruppentherapie sagte er, er hatte eine gute Kindheit auf dem Land. Später kam heraus, dass er von seinem cholerischen Vater mit einer Metallstange einmal fast totgeschlagen wurde.

Ich stimme dir zu, dass Burnout eine Folge von Grenzüberschreitung ist, oder auch von Vernachlässigung oder anderen schlimmen Kindheitserfahrungen. Wobei ich sagen würde: Als erstes ist die Depression da. Diese geht sowieso meist einher mit Erschöpfung und endet unbehandelt im schlimmsten Fall mit dem Tod. Schwer Depressive stehen morgens nicht mehr auf. Insofern ist für mich Burnout eine Folge oder eine Form von Depression.

Inwiefern hat dir die Frage nach dem „Warum bin ich so?“ und die Erkenntnis über dein Kindheitstrauma geholfen? Hat dir das Wissen darüber auch „geschadet“?

Die Aufdeckung meines Traumas hat mir unglaublich geholfen. Endlich wusste ich, was los war. Schlecht ging es mir ja schon immer: Als Jugendliche war ich beim Hausarzt, ich war nie richtig gesund, hatte fast ständig Halsschmerzen. Er sagte: Sie haben nichts. Kaufen Sie sich Vitamintabletten. Ich weiß noch heute, wie unverstanden ich mich fühlte.

Dem folgten viele Jahre Psychotherapie, die ähnlich verliefen. Mein Gefühl aus dieser Zeit war: Keiner kann mir helfen. Vielleicht bildete sich daraus auch der Glaubenssatz schlecht, böse, falsch zu sein. Auf jeden Fall anders als andere. Dies war die schlimmste Qual für mich.

Als im Alter von 41 Jahren der Missbrauch hochkam, war ich nochmal suizidgefährdet und fiel in ein tiefes Loch. Die ersten Monate habe ich mich (unbewusst) geschützt, indem ich mir sagte: Das stimmt nicht mit dem Missbrauch. Das kann nicht sein.

Um auf die Frage zurück zu kommen: Ja, die erste Zeit der Aufdeckung war schlimm. Aber es war der Anfang der Heilung. Ich wollte alles wissen, alles verstehen. Mir war klar: Entweder du löst das Trauma auf oder du stirbst. So kannst du nicht weiterleben. Und dann wurden irgendwann die Therapieerfolge spürbar: immer weniger Trigger, keine Suizidgedanken und schweren Depressionen mehr.

Auch meine Mutter fragte mich: Wäre es nicht besser gewesen, du hättest es nie gewusst? – Nein! Ein ganz klares Nein. Die Auflösung des Traumas war meine größte Herausforderung, aber auch der Wendepunkt zu mehr Freude, mehr Klarheit und mehr Lebenslust.

Gab es eine Therapie- bzw. Begleitungsform, die dir in bestimmten Phasen am meisten geholfen hat? Wenn ja, welche war das und wie hat sie dir geholfen?

Was mir sehr geholfen hat, war mein Tantra-Jahrestraining. Es ging um Selbsterfahrung, Körpererfahrung, Begegnung und Berührung. Hier konnte ich in geschütztem Raum, unter Anleitung von Therapeuten, berühren und berührt werden. Dies war insofern wichtig, da ich in dieser Zeit jahrelang keinen Sex hatte – zu groß war die Angst vor Triggern.

Der zweite wichtige Punkt war meine Körpertherapie. Ich glaube, dass man eine massive Gewalterfahrung, bei mir mit Nahtod-Erlebnis, nicht mit Gesprächs- oder Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse lösen kann. Ich hatte Glück, dass mein Kassentherapeut eine zusätzliche Körpertherapie-Ausbildung hatte. Als ich mal wieder fragte, ob ich mir den Missbrauch nicht vielleicht nur einbilde, sagte er: Der Körper lügt nicht.

Ich hatte fast nur Körpererinnerungen an das Trauma. Bis heute fehlt mir ein Bild vom Täter, eine Tageszeit, ein Ort, mein Alter zur Tatzeit. Aber mein Körper weiß alles und in der Therapie konnten wir damit arbeiten. Immer wieder staunte ich, dass in bestimmten Körperteilen die Ohnmacht, Todesangst oder Todessehnsucht sitzt. Es war unglaublich wohltuend, dies mit Schreien, Weinen, Atmen und Bewegen auszudrücken. Als ob diese Körperteile jahrzehntelang darauf gewartet haben, erlöst zu werden.

Wichtig waren auch Dynamische Meditation oder Bonding, wo ich über den Körper in meinen Schmerz und meine Angst kam und diesen laut raus schreien konnte. Und, etwas stiller, die Arbeit mit dem inneren Kind und schließlich eine spirituelle Begleitung.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Menschen mit traumatischen Erlebnissen „auf der Suche“ sind: Nach sich selbst, nach der „richtigen“ Therapie / Methode, nach dem passenden Therapeuten und dabei sehr viel ausprobieren und sich möglicherweise im „Selbsterfahrungsdschungel“ verlieren können. Wie hast du das erlebt?

Ich glaube, ich habe mich nicht darin verloren. Im Gegenteil, ich habe mich darin selbst gefunden und bin reifer und klarer herausgekommen als ich es ohne diese vielen Erfahrungen je hätte sein können.

Entweder hatte ich Glück, gleich auf sehr gute Lehrer mit Traumatherapie-Erfahrung zu treffen, oder ich spürte trotz aller Traumatisierung sehr klar, wer mir gut tut und wer nicht. Ich habe oft die Therapeuten und Methoden gewechselt, vieles parallel gemacht und extrem viel ausprobiert, von Schwitzhütte über Hypnotherapie bis Yoni-Massagen.

Wie geht es dir heute, wie lebst du heute und wie hat sich dein Leben seit deinem Burnout verändert?

Der Wendepunkt meines Lebens war nicht der Burnout mit anschließender Reha, sondern die Flashbacks ein Jahr später. Diese haben mir mein Trauma erstmals gezeigt, das so lange unerkannt in meinem Körper geschlummert hat.

Die Traumaheilung war eine unglaubliche Reise voller Höhen und Tiefen, und sie geht immer weiter. Wenn ein Thema, eine Schicht, eine Angst abgetragen und geheilt ist, wartet schon das nächste. Insofern macht der „Selbsterfahrungsdschungel“ tatsächlich süchtig. Positiv würde ich es Persönlichkeitsentwicklung nennen.

Für mich gibt es da auch kein Zurück: Ich umgebe mich mit Menschen, die sich ebenfalls weiterentwickeln wollen, ihre Gefühle erkunden und an persönlichem Wachstum interessiert sind. Mein Leben ist dadurch unglaublich reich geworden, authentisch, freud- und lustvoll.

Ich habe viele Ausbildungen gemacht und biete heute selbst Körperarbeit, Massagen und Psychotherapie als Heilpraktikerin an. Durch meine Hände fließt viel Energie und ich habe eine sehr achtsame Art zu berühren, die die Menschen tiefen Frieden und tiefe Entspannung auf Seelenebene erleben lässt. Das ist mein Geschenk der Heilung und meines Weges.

Ich habe beim Querlesen deines „TagebuchTraumaheilung“ gespürt, wie schlecht es dir damals ging, wie hilflos und fragil du warst. Dein Erlebtes hat mich innerlich beschäftigt, da auch ich Grenzüberschreitungen kenne und sehr leicht „mitschwinge“. Hast du eine Empfehlung, für wen dein Blog geeignet ist und für wen nicht?

Mein Blog ist nicht geeignet für Menschen in einer akuten Depression, die leicht getriggert werden und die ihre eigene Missbrauchserfahrung oder ein anderes schweres Trauma noch nicht aufgearbeitet haben. Allerdings kann es gerade diesen Menschen helfen, wenn sie stabiler sind, eigene Prozesse besser zu verstehen.

Ich selbst habe in der Zeit der Aufarbeitung viel darüber gelesen, nicht ohne viel dabei zu weinen und getriggert zu werden – aber letztlich hat mir das alles sehr geholfen. Vor allem zu sehen, dass es „normal“ ist, sich nach 35 Jahren „plötzlich“ an Kindesmissbrauch zu erinnern und zu verstehen, wie das Gehirn bei Trauma und bei Triggern funktioniert, wann und warum eine Amnesie eintritt.

Der Blog ist sicherlich auch interessant für Therapeuten, die mit Traumapatienten arbeiten und für Menschen, deren Partner, Angehörige oder Freunde von Kindesmissbrauch betroffen sind. Ein Mann sagte mir einmal, er habe erst jetzt im Nachhinein, nach Lesen meines Blogs, seine Ex-Frau verstanden, die auch als Kind missbraucht wurde.

Zum Blog geht’s hier: TagebuchTraumaheilung

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