Was ich immer wieder in meiner Arbeit oder im privaten Kontext feststelle: Kaum jemand möchte wütend sein. Als wäre es etwas ganz schreckliches, wütend zu sein. Wut? Nein, danke. Es ist fast so, als hätten die meisten Menschen Angst vor Wut: Sie selbst zu fühlen bzw. sie abzubekommen. Der Umgang mit dem Gefühl Wut scheint für die meisten Menschen echt schwierig zu sein. Verstehe ich – und dann auch wieder nicht. 

Aber klar, woher sollen wir auch einen guten Umgang mit Gefühlen – insbesondere mit Wut – auch kennen. In den meisten Fällen zeigt uns keiner im Leben, wie das geht. Weder das Elternhaus (zumindest in den wenigsten Fällen), keine Erzieherin im Kindergarten, kein Lehrer in der Schule oder Dozent im Studium zeigt uns das. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass jeder im Laufe des Lebens seinen ganz persönlichen Umgang mit Gefühlen findet und meist Gefühle wie Wut oder Ärger unterdrückt, negiert oder tabuisiert.

„Ich bin nicht wütend, wütend sind die anderen, ich nicht.“
„Nein, was ich da fühle, ist keine Wut.“
„Wut ist eine niedrig schwingende Energie. Da gehe ich nicht rein“.

Schade eigentlich. Denn ich bin der Meinung, dass eine ganz bestimmte Art Wut eine ganz besondere (Lebens)Kraft in sich trägt. 

Für mich gibt es zwei verschiedene Wut-Qualitäten, d.h. wie die Wut nach außen gebracht wird:

1.) Die ausagierte Wut
2.) Die bewusst zum Ausdruck gebrachte Wut

Lass mich erklären, was ich damit meine.

Die ausagierte Wut

Die ausagierte Wut ist blinde Wut: Da wird wie wild um sich geschlagen und alles herausgebrüllt mit einer Stimme, die schrill ist und sich fast überschlägt. Man sagt ja auch: Da ist jemand außer sich vor Wut.

In meiner Wahrnehmung ist diese Form der Wut destruktiv, da sie sich sowohl für den Wütenden als auch für den Anderen, der diese Wut vielleicht empfängt, nicht gut anfühlt. Es mag zwar sein, dass der Wütende danach kurz das Gefühl (bzw. den Gedanken) hat von „Boah, das hat mir jetzt aber mal gut getan. Endlich konnte ich mal schreien und alles rauslassen“, doch im Kern fühlt sich diese Form der Wut etwas „matt und kraftlos“ an. Warum? Weil sich die Wut-Energie nicht wirklich transformieren konnte. Sie bleibt hängen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Als Klientin und begleitender Coach.

Die bewusst zum Ausdruck gebrachte Wut

Die bewusst zum Ausdruck gebrachte Wut ist vor allem eins: bewusst. Sie ist bewusst, konzentriert und fokussiert. Auch laut, gar keine Frage, doch alles in einem bewussten Zustand. Denn wenn die Wut-Energie bewusst zum Ausdruck gebracht wird, kann sie sich transformieren: In Schmerz, Trauer und letztendlich in Wärme, Liebe und Licht. Das ist meine Erfahrung. Als Klientin und begleitender Coach.

Ich beschäftige mich persönlich und privat schon etliche Jahre mit intensiver Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung und habe da für mich erkannt, dass bei Wut der direkte Kontakt mit einem Gegenüber sowie der Augenkontakt Schlüsselelemente für Transformation sind.

Es gibt selbstverständlich auch andere Methoden zur Transformation, die nicht unbedingt ein Gegenüber oder Augenkontakt benötigen, doch um Wut wirklich zu transformieren, kenne ich persönlich bis heute nichts besseres als eine bewusste Begleitung im direkten (Augen)Kontakt.

Ich habe diese Form der Begleitung in gestalttherapeutischen Settings kennengelernt sowie in meiner Ausbildung zur Gestalttherapeutin. Ich habe dort unter anderem die Arbeit des Gestalttherapeuten und Dozenten Werner Bock kennengelernt, der uns den Umgang bzw. die Arbeit mit „mörderischer Wut“ gezeigt hat. Welch großartige und fantastische Arbeit.

Mörderische Wut: Was ist das und woher kommt die?

Mörderische Wut entwickelt sich bereits in der (frühen) Kindheit: Immer dann, wenn das existenzielle Bedürfnis nach sicherer Bindung, körperlichem Kontakt oder emotionaler Zuwendung frustriert wird. Mörderische Wut ist somit nichts angeborenes, sondern die Reaktion auf chronisch enttäuschte Liebe.

Ich gebe mal ein Beispiel: Ein Säugling oder Kleinkind hat Angst und und sucht nun bei den Eltern z.B. übers Schreien nach einer sicheren Bindung (Körperkontakt oder emotionale Zuwendung). Bekommen wir diese Zuwendung und Geborgenheit, ist alles gut. Das Kind reguliert sich im direkten Körperkontakt und lernt so mit Stress umzugehen, da es einen „sicheren Boden“ erfährt.

Wenn es diesen „sicheren Boden“ nicht gibt, da die Eltern (aus welchen Gründen auch immer) keine sichere Bindung (Körperkontakt oder emotionale Zuwendung) anbieten können, wird das Kind immer und immer wieder enttäuscht und frustriert werden. Die angestaute Wut wird schließlich gegen sich selbst oder gegen andere gerichtet.

Geschieht diese Frustration oder „Bindungsstörung“ in den ersten 2-3 Lebensjahren, bekommen wir zudem das Gefühl, dass wir nicht wirklich im Leben willkommen sind und es entsteht ein Gefühl des Misstrauens: Das Urvertrauen ins Leben und in andere Menschen ist erschüttert. Im Erwachsenenalter angekommen weisen diese Menschen eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen sowie ein Ungleichgewicht im vegetativen Nervensystem auf. Die Nerven liegen einfach blank. Bleibt dieser Zustand auf längere Zeit bestehen, kommt es meist zu einem Burnout.

Was also tun mit der Wut?

Zuerst überhaupt mal fühlen. Denn die meisten Menschen fühlen ihre unterdrückte Wut (oder andere Gefühle) überhaupt nicht. Der wird beim leisesten Anflug gerne mal mit Alkohol, Nikotin, weiteren Drogen, Weglächeln, mit viel arbeiten, Fernsehen, Sex oder mit überzogenen spirituellen Praktiken vermieden bzw. „weggemacht“. (Letzteres heißt im übrigen „Spiritual Bypassing“, mehr dazu mal in einem separaten Blogartikel) Doch egal, welche Vermeidungsstrategie du anwendest: Die Wut-Energie ist nach wie vor da. Sie wird nur unterdrückt, vernebelt.

Was also wirklich tun, damit sich die Wut zeigen und transformiert werden kann?

Fühlen und transformieren.

Hole dir dafür am besten ein Gegenüber, der sich in der Begleitung mit Wut auskennt und dich durch diesen Prozess achtsam, liebevoll, wertschätzend und auf Augenhöhe begleiten kann.

Es geht darum, dass du deine Wut, deine Trauer, deinen Schmerz, deine Angst, deine Scham, Schuld oder Freude (oder was es auch immer sein mag) zulässt. Es geht darum, dass du deinen eigenen inneren Prozessen traust und deine eigene Stimme zum Ausdruck bringst, damit du deine eigene (physische und psychische) Kraft erfährst. 

Lass es mich noch einmal ganz explizit sagen: Es geht nicht darum, dass du deine Wut blind ausagierst. Darum geht es überhaupt nicht. Das ist kontraproduktiv und wird dich eher matschig und ein Gefühl von „ich stehe neben mir“ machen. Darum geht es nicht.

Es geht darum, dass du dir im Kontakt und direkten Augenkontakt erlaubst, die Wut und die dahinter verborgene Verletzung zu fühlen, damit sich dein ganz individueller Prozess zeigen darf. Für was auch immer. Von einem großen Schmerz, zur tiefen Trauer, Schuldgefühle oder Scham … bevor sich dann das Tor zu deiner eigenen Kraft öffnet, das Tor zum Licht und zur Liebe.

Ich habe das selbst erfahren. Als Klientin, begleitender Coach und auch im privaten Kontext und kann dir sagen, dass diese Erfahrung einiges in deinem Leben verändern wird.

Leider wird in den meisten Therapien oder Seminarkontexten das Wut-Thema ausgeklammert, schnell „weggeatmet“ oder es wird der Ratschlag gegeben, „man solle doch mal alleine in den Wald gehen und schreien“. Okay, kann man machen, doch ich persönlich halte davon nichts, weil die Wut-Energie danach nicht wirklich weg ist.

Ich kann allerdings auch die begleitenden Kollegen verstehen: Denn in der Arbeit mit Wut werde ich als Begleiter ganz schön gefordert: Ich brauche eine hohe Energie, darf mich nicht persönlich angegriffen fühlen und darf mir meinen eigenen Wut-Themen bewusst sein. Das setzt eine hohe Bewusstheit voraus. Wenn ich das nicht habe, wird es mit der Begleitung sehr schwer für mich als Coach / Therapeut.

In meiner Wahrnehmung wird daher die Arbeit mit Wut von den meisten Kollegen ausgespart. Wirklich schade, wie ich finde.

Wie gesagt, ich mag die Arbeit mit Wut, weil sie so schön transformativ ist.

Ich hatte mal eine Klientin, die ich in ihrer Wut begleiten durfte. Das war ein wundschöner Prozess. Ich habe danach dem Dozenten und Gestalttherapeuten Werner Bock, bei dem ich diese Arbeit lernen durfte, eine Email geschrieben, die ich hier in Auszügen teilen möchte, weil sie so stark ist:

„Ich komme gerade von einer Klientin, die ich in ihrer mörderischen Wut begleitet habe. Mit den Händen um meinen Hals gelegt, ihre Phantasie aussprechend, wie sie den Hals ihrer Mutter zudreht, immer weiter und weiter, bis nichts mehr zu hören ist („sei still, sei still“) und es in ihrer Wirbelsäule knackt und knackt, bis ihr Körper nur noch schlaff runterhängt. Ja, es ganz ruhig ist.

Und dann kam das Licht. Ihre Strahl-Kraft, während ich sie gehalten und umarmt habe. Und sie schluchzte und schluchzte. Von ganz tief unten. Und alles beruhigte sich in ihr. Wurde groß, hell und warm.

Danke, lieber Werner, für diese wirklich sehr beeindruckende Arbeit.“

Gleich zum Verständnis, damit keine Missverständnisse entstehen: Die Klientin hat in ihrer Phantasie NICHT ihre Mutter getötet, sondern den Teil der Mutter, der damals nicht für sie da sein konnte. Den Teil, der damals keine sichere Bindung ermöglichen konnte, der die Verletzung bzw. chronische Enttäuschung ausgelöst hat.

Endlich wurde ihre Verletzung mal gesehen, durchlebt und die Wut in Liebe transformiert. 

Die Klientin erzählte mir damals, dass sie danach im Kontakt mit ihrer Mutter innerlich ruhiger und gelassen war. Sie war nicht mehr so getriggert – und dadurch berührt.

Ich persönlich kann diese Erfahrung auch bestätigen. Ich habe ein ähnliches Thema und mag sagen, dass sich meine Haltung zu der entsprechenden Person positiv (in mir selbst) verändert hat. Weil ich mir über meine Wut meine eigene Verletzung angeschaut bzw. erfahren habe.

Wenn du demnach ein verdrängtes Wut-Thema hast, dann lade ich dich ein, folgendes zu überprüfen:

  • Erlaubst du dir, deine eigene Wut zu fühlen? 
  • Erlaubst du dir andere „negative“ Gefühle wie Trauer, Schmerz, Angst etc. zu fühlen?
  • Bist du abgegrenzt genug, dass du Wut von anderen „(aus)halten“ kannst?
  • Erlaubst du dir, deine eigene Stimme zum Ausdruck zu bringen?
  • Erlaubst du dir, deine eigene Kraft (auch physisch) zur spüren?

Es mag ein diffiziles Thema sein. Ja. Und dann auch wieder nicht. Denn in Wahrheit ist alles ganz leicht. Wenn du es erfährst.

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