Ich werde in letzter Zeit immer häufiger zu meiner Burnouterfahrung befragt, z.B. wie ich den Klinikaufenthalt erlebt habe, wie ich persönlich Burnout definiere, wie ich (Burnout-)Klienten begleite oder wie man am besten als Angehöriger mit einem Burnout-Betroffenen umgehen sollte. Die Fragen aus meinem Umfeld und von Lesern haben mich zu diesem Blog inspiriert, so dass ich auch hier gerne Antworten darauf geben möchte.
Du hast eine Frage an mich zum Thema Burnout?
Schreib mir gerne deine Fragen auf. Du erreichst mich gut per Email. Ansonsten kannst du mir auch gerne unter diesem Blog einen Kommentar zukommen lassen. Ich schreibe dir eine Email zurück und werde – nach vorheriger Abstimmung mit dir – die Fragen und Antworten als Kurzfassung anynom veröffentlichen, so dass auch andere Leser einen Nutzen davon haben.
Frage: Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Freund ein Burnout hat. Er rastet wegen Kleinigkeiten aus, ist in Gesprächen abwesend, kann nicht richtig schlafen und entzieht sich allen sozialen Kontakten. Er lässt mich nicht mehr an sich ran bzw. verhält sich mir gegenüber widersprüchlich. Wenn ich ihm helfen will, blockt er ab und macht mir danach Vorwürfe, dass er alleine ist und keinen hat. Was kann ich tun?
Antwort: Ich finde es wichtig, dass du ihm sagst, wie es DIR mit der Situation geht. Was macht es mit dir, wenn dein Freund sich dir entzieht, du helfen willst, er abblockt und dir anschließend Vorwürfe macht? Bist du hilflos? Bist du wütend? Bist du traurig? Fühle einmal, was genau du fühlst und kommuniziere das – auf einer emotionalen Ebene (nicht so sehr Kopfebene). Dann kann aus meiner Erfahrung folgendes passieren:
- Dein Freund kann an dein Gesagtes und an die Emotionalität andocken und es gibt wieder eine echte Verbindung zwischen euch.
- Dein Freund kann dein Gesagtes (gerade) nicht annehmen, weil er sich aufgrund der Überforderungen, in der er gerade drin steckt, so sehr schützen muss, dass er sich emotional „abgeschnitten“ hat und gerade für nichts empfänglich ist, weil er „funktionieren“ muss.
Wenn dich die Situation sehr stark belastet, würde ich mir an deiner Stelle dringend Unterstützung suchen. Dein Freund wird auch Hilfe benötigen, doch er muss sich diese selbst holen bzw. muss erst einmal offen dafür sein. Solange er externe Unterstützung ablehnt, wirst du nichts machen können. Und du kannst ihm auch nicht wirklich helfen, das muss er selbst tun, indem er den ersten Schritt macht. Du kannst ihm Informationen raussuchen, an wen er sich wenden kann (Ärzte, Therapeuten, Seelsorger, Krisendienst, Krankenhaus, Klinik (stationär / Tagesklinik), Reha, Krankenkasse etc.), damit er eine Idee hat, was erste Anlaufstellen sein könnten. Du kannst ihn selbstverständlich gerne dahin begleiten, doch die Entscheidung, den ersten Schritt zu tun, muss letztendlich von ihm kommen. Vielleicht helfen ihm auch die Informationen auf HALLO BURNOUT sowie die Interviews zu den Burnouterfahrungen, damit er sieht, dass er nicht der Einzige ist, dem es so geht (denn er wird sich höchstwahrscheinlich so fühlen) und dass es Menschen gibt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und gestärkt daraus herausgegangen sind. Ich weiß, dass das in seiner Situation schwer vorstellbar ist. Doch ein „ich weiß, was du durchmachst“, kann in einer Krisensituation sehr helfen.
Weitere Informationen für Partner und Angehörige findest du hier: Blog
Frage: Wieso fallen manche Menschen eigentlich in einen Burnout und andere nicht? Was ist dieses Phänomen „Burnout“ für dich und wie war das bei dir?
Antwort: Für mich ist ein Burnout (ein Ausbrennen, d.h. ein Aufbrauchen sämtlicher Kräfte und Ressourcen über einen längeren Zeitraum) neben der Tatsache, dass wir in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft leben, mitunter das Ergebnis von Grenzüberschreitungen und Missbräuchen aus der Kindheit. Ich unterschiede hier zwischen:
- sexuellem Missbrauch (z.B. sexuelle Handlungen)
- körperlichen Missbrauch (z.B. körperliche Misshandlungen)
- seelischer Missbrauch (z.B. Demütigung, Vernachlässigung, Beschimpfung, Ablehnung, Manipulation, Kontrolle, Verweigerung von Zuneigung und Liebe)
Ich persönliche lege dabei mein Augenmerk auf den seelischen oder emotionalen Missbrauch. Schon deshalb, weil ich ihn aus meiner Kindheit kenne und von Burnout-Betroffenen weiß, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Häufig werden dabei die Situationen, in denen emotionaler Missbrauch stattgefunden hat, von Seiten des Betroffenen als „völlig normal“ oder „doch gar nicht so schlimm“ erlebt. Auch ich musste für mich erst begreifen, dass emotionale Vernachlässigung, der fehlende Schutz bei Angst sowie Trennung der Eltern nicht „normal“ sind – und dass es so etwas wie „Normalität“ nur ganz selten gibt.
So geben Eltern und Bezugspersonen das an ihre Kinder weiter, was sie selbst erfahren haben. Und da unsere (Ur-)Großeltern und Eltern noch am eigenen Leibe einen Krieg erfahren haben, bleibt es nicht aus, dass in dieser Generation bereits eine starke Traumatisierung (z.B. Kriegstrauma der Soldaten, Vergewaltigungen, Hungersnöte etc.) und Überforderung stattgefunden hat, die nicht nur genetisch, sondern auch auf der Verhaltensebene an die nächste Generation weitergegeben wird, wenn vorher keine Aufarbeitung stattgefunden hat bzw. wenn die Themen innerhalb der Familie verschwiegen und tabuisiert werden.
Insofern mag ich sagen: Je mehr die eigenen traumatischen Erlebnisse angeschaut wurden, je mehr Bewusstheit und Offenheit darüber innerhalb der Familie herrscht, je mehr Kontakt zum eigenen Körper und Gefühlen vorhanden ist und authentischer und liebevoller Umgang gelebt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch seine eigene Grenze, einen Selbstwert sowie eine gute Selbstregulation entwickelt. Wer diese Erfahrung nicht gemacht hat, hat in meinem Verständnis eine höhere Tendenz, sich selbst auszubeuten und in einen Burnout zu fallen.
Denn wenn ich als Kind langanhaltende Grenzüberschreitungen erlebt habe, wird es mir als Erwachsener sehr schwer fallen, wirklich im Leben anzukommen, meine eigene Grenze zu spüren, diese anzuerkennen und demnach zu handeln. Die Frage nach dem „Was möchte ich, was möchte ich nicht?“ ist nicht eindeutig bzw. wird negiert. Negative Dinge werden häufig als „normal“ bzw. „stressfrei“ wahrgenommen, Schönes als etwas „Stressiges“ und Bedrohliches erlebt, weil es schlichtweg unbekannt und neu ist.
Die eigene Grenze, die eigenen Ressourcen sind nicht klar und Lebensnotwendiges wie die eigenen Bedürfnisse werden nicht (mehr) wahrgenommen, geschweige denn aktiv eingeholt. Das führt in meinem Verständnis letztendlich zum körperlichen Raubbau mit starken Erschöpfungszuständen, aus denen sich anschließend eine Depression entwickeln kann.
Ich persönlich musste nach meinem Burnout ganz viel neu erlernen: Mich selber wieder zu spüren, meine Gefühle auszudrücken, Grenzen zu setzen, zu spüren, wieviel Kontakt mir gut tut und wann es mir zuviel wird, meinen Impulsen zu folgen, mich selbst wieder zu regulieren … Das war mein Weg, um wieder bei mir anzukommen.
Frage: Ich befinde mich derzeit in einer Lebenskrise und überlege, in eine Klinik zu gehen. Ich habe einige Widerstände oder zumindest Fragen in mir, ob ein solcher Ort in Zeiten der Krise der richtige ist und nicht eher ein Ort an dem „Krankheit“ und „Störung“ kumuliert aufeinander trifft. Wie hast du das für dich erlebt?
Antwort: Ich kann deine Bedenken sehr gut nachvollziehen und habe meine Klinikzeit wie folgt erlebt: Für mich war die Klinik in erster Linie eine Art „Auffangstation“, die für mich lebensnotwendig war, da ich mich damals in einer Notsituation befand und mich selbst habe einweisen lassen. Ich wollte nie stationär in die Klinik, das war mein größter Albtraum. Ich hatte mich einige Wochen zuvor um einen Platz in einer Tagesklinik gekümmert, der allerdings noch nicht von der Krankenkasse genehmigt worden war. Dann passierte mein Zusammenbruch, ich nahm völlig betäubt und im Funktionsmodus ein Taxi in die Klinik und wurde dort von den Ärzten stationär noteingewiesen. Ich war ingesamt drei Wochen stationär und zwei Wochen in der Tagesklinik. Viel zu kurz aus heutiger Sicht und sehr bezeichnend für meinen damaligen Zustand.
Es handelte sich um eine kleine Privatklinik, die nicht wirklich auf „Burnout“ spezialisiert war und irgendwie „alles“ behandelte: Suchtpatienten, Menschen mit Psychosen, Demenz, Depressionen, Angst und Zwangserkrankungen … Insofern waren die Patienten eine bunte Mischung sämtlicher „Krankheitsbilder und psychischen Störungen“. Ich nahm die Diagnose „Burnout / Erschöpfungsdepression“ an, konnte aber nicht wirklich etwas damit anfangen. Ich wusste, dass mit mir etwas nicht stimmte, konnte aber nicht sagen, was genau. Da ich innerlich wirklich „fertig“ war (was man mir jedoch äußerlich nicht ansah), gab ich mich sämtlichen Diagnosen und Medikamenten hin. Mir war es schlichtweg wurscht, welchen Stempel ich bekam. Und gleichzeitig machte mich die Zuteilung einer Krankheit auch irgendwie „stolz“, da ich nun endlich kommunizieren konnte, was ich hatte. Ich hatte einen Grund, weshalb ich hier war. Ich habe meinen Burnout angenommen, habe mich jedoch nie damit identifiziert, im Sinne von „ich BIN mein Burnout. Das BIN ich jetzt, ich kann nichts ändern und bin abhängig davon.“ Denn ich finde, das ist tatsächlich das Tückische in unserem „Gesundheitssystem“, was in meiner Wahrnehmung eher „Krankheitssystem“ heißen müsste, da wir Krankheiten und Symptome behandeln und nicht den Fokus auf Gesundheit (Selbstregulation und Selbstheilung) legen. Logisch, bringt ja auch kein Profit …
Insofern war die Klinikzeit für mich eine erste Anlaufstelle, um durchzuatmen und loszulassen (soweit ich das damals konnte). Die Diagnose und Klassifizierungen waren mir, wie gesagt, zum damaligen Zeit fast egal, da diese nicht wichtig für mich, sondern letztendlich zum Abrechnen mit der Krankenkasse waren. So habe ich es zumindest gesehen. Nichtsdestotrotz hat es etwas mit mir gemacht, mit all den anderen „Krankheitsbildern“ in einem Raum zu sein. Erstens, weil die meisten Patienten als Gesprächsthema nur noch ihre Diagnosen und Medikamentendosis haben und zweitens, weil ich hochsensible Ansätze habe (was ich damals jedoch noch nicht wusste), d.h. sehr viel um mich herum spüre. Das macht mich sehr empathisch und „durchlässig“, womit ich damals jedoch noch nicht umgehen konnte. So half ich ständig anderen Patienten, kümmerte mich um sie (da die Krankenschwestern kaum Zeit hatten), bis ich irgendwann die Schnauze voll hatte und wütend zu den Schwestern ging mit der Ansage, sie sollen sich gefälligst um ihre Patienten kümmern, das sei nicht mein Job. Das war meine erste bewusste Grenzerfahrung und Grenzwahrung. Weitere folgten. Herrje, tat das gut. Die Schwestern gingen nicht weiter darauf ein, gratulierten mir jedoch für meinen Schritt. Insofern hatte die vielen „Krankheitsbilder“ um mich herum tatsächlich etwas Positives, nämlich, dass ich anfing, mich abzugrenzen.
Frage: Welche Art von Kliniken kannst du denn bei einem Burnout empfehlen? Hast du da einen Tipp für mich?
Antwort: Ich kann dir nicht wirklich eine Klinik empfehlen und bin auch der Meinung, dass alles zum richtigen Zeitpunkt kommt. Mit dem heutigen Wissen hätte ich mir jedoch höchstwahrscheinlich eine andere Klinik herausgesucht. Allerdings bin ich heute ja auch nicht mehr die, die ich zum Zeitpunkt meines Burnouts war. Heute würde ich mir eine Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit integrativem Ansatz und einen Blick für humanistische Psychologie (Gestalttherapie) heraussuchen. Ich wusste damals jedoch überhaupt nicht, dass ich mir eine Klinik aussuchen kann, geschweige denn, welche Ansätze es gibt. Woher sollte ich das auch wissen? Ich steckte mitten im Burnout und habe das Erstbeste genommen, was ich bekommen konnte. Sowohl bei der Klinik als auch bei der Therapeutin, bei der ich anschließend meine ambulante Therapie machte. Die Wartezeiten bei Klinken und Therapeuten sind ja ewig lang, da ist es bestimmt besser, gleich zuzugreifen, dachte ich damals.
Damit kein Missverständnis entsteht: Der Aufenthalt in der Klink war gut und war auch irgendwie nicht gut und ich frage mich bis heute, welchen Ansatz die dort eigentlich hatten. Ich habe meinen stationären Aufenthalt als „Auffangstation“ erlebt: Mit einem Dach über dem Kopf, einem Bett, regelmäßigem Essen und einer Tagesstruktur. Ich musste mich (für den Moment) nicht um meine Existenzerhaltung kümmern. Ich wurde versorgt. Auf dem Wochenplan standen: Ein Einzeltherapiegespräch (mit einer jungen Therapeutin), Gruppentherapie sowie weiteren optionalem Angeboten in der Tagesklinik wie Maltherapie, Tanztherapie, Musiktherapie, Ergotherapie, Progressive Muskelentspannung, Massagen und emotionales Training.
Ich habe (aus heutiger Sicht) mein Muster voll in der Klinik ausgelebt und meine Aha-Erlebnisse kamen nicht durch die Gespräche mit den Therapeuten und Ärzten, sondern Dank meiner Selbstbeobachtung. Ich habe mich an vielen Stellen selbst beobachten können. In der Tanztherapie kamen Gefühle hoch, die ich so nicht kannte, bei der Ergotherapie hatte ich beim Korbflechten einen wirklichen Aha-Moment: Ich habe körperlich und gedanklich erfahren, warum ich in der Klinik bin. Es gab zwar in dieser Klinik so gut wie gar keine Interventionen und wenig Raum für Austausch und begleitenden Prozesse, doch ich hatte Zeit bekommen, inne zu halten und mich selbst zu beobachten. Vielleicht war das der Therapieansatz: Dass sich die Patienten selbst beobachten lernen. Doch dann braucht es in meinen heutigen Verständnis einen Boden, sprich, einen Austausch und eine Begleitung von diesen Erkenntnissen. Insofern würde ich mir heute eine Klinik aussuchen, die viel Raum für therapeutischen Austausch bietet – und das möglichst auch in einer Gruppe, da ich persönlich Gruppenprozesse für sehr wirkungsvoll halte.
Frage: Wie lange warst du in der Klinik und warst du nach dem Klinikaufenthalt wieder ganz genesen? Wie ging es dann bei dir weiter?
Antwort: Ich war drei Wochen auf der Station und zwei Wochen in der Tagesklinik. Danach war ich zwar etwas ausgeruhter und kräftiger, doch niemals genesen, denn nach der Klinik fing – zumindest für mich – die eigentliche „Arbeit“ erst an. Dass der Klinikaufenthalt wenig nachhaltig war, lag ganz sicher an der kurzen Verweildauer sowie an dem Umstand, dass ich nach meiner Entlassung völlig „entwurzelt“ war, da meine Situation wie folgt war: Der Partner hatte sich getrennt, Wegfall der Freunde, neue Wohnsituation, veränderte Jobsituation, Existenzängste etc. Alle meine sieben Lebenssäulen waren in sich zusammengebrochen – und wurden mir dadurch bewusst. Das war eine sehr harte Zeit für mich. Allerdings ist mir dadurch erst bewusst geworden ist, wie ich bis jetzt gelebt hatte und was das alles mit mir zu tun hat.
Auch diese Erkenntnisse kamen nicht durch die Gespräche mit der Therapeutin, bei der ich fast 1,5 Jahre war, sondern durch meine Fähigkeit, mich selbst beobachten und reflektieren zu können. Ich empfand sämtliche Therapien, die von der Krankenkasse bezahlt wurden (Verhaltenstherapie (VT) und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP)) als wenig hilfreich und würde sogar aus heutiger Sicht sagen, dass sie nicht nur erfolglos, sondern zum Teil auch durchaus fahrlässig waren. Denn es fehlte schlichtweg die Beziehungsebene. Heute weiß ich:
Eine echte Beziehungsebene, d.h. der Kontakt zwischen Therapeut und Klient, öffnet einen geschützten und vertrauensvollen Raum!
Dieser Raum ist bei Burnout-Betroffenen mit Erfahrungen von Grenzüberschreitungen existentiell wichtig. Wer da als Therapeut meint, mit „Expertenwissen“, Diagnosen, Ratschlägen, Meinungen, Abhängigkeiten und Provokationen therapieren zu können, wird nicht nur mächtig scheitern, sondern den Misstrauensgraben noch vergrößern. Ich habe diese Erfahrung gemacht und weiß nun, wie man es NICHT machen sollte.
Was mir geholfen hat, war die systemische Coachingausbildung, die ich damals begonnen hatte, sowie die Gestalttherapie, die ich kurz danach für mich entdeckte.
Frage: Ich habe schon mal von Gestalttherapie gehört. Das ist doch das, wo man malt, richtig?
Antwort: Gestalttherapie wird häufig mit Gestaltungstherapie (Kunst- bzw. Maltherapie) verwechselt. Gestalttherapie hat erst einmal nichts mit Malen zu tun. Gestalttherapie ist auch keine wirkliche Methode oder Technik, sondern eher eine Haltung, mit der ich als Mensch da bin. Insofern kann jeder Mensch und Therapeut eine gestalttherapeutische Haltung haben, sofern er darin ausgebildet ist.
Die Gestalttherapie geht davon aus, dass sich der menschliche Organismus selbst regulieren kann und dass es ein menschliches Bedürfnis ist, „offene bzw. unvollständige Gestalten“ zu schließen und zu integrieren. Offene Gestalten könnten zum Beispiel folgendes sein: Endlich mal Nein-sagen und Grenzen setzen, das Bedürfnis nach Nähe und Sex, das Bedürfnis nach Rückzug, das Zulassen und Zeigen von Gefühlen wie Angst, Wut, Scham oder Freude oder ein liebevoller Kontakt mit sich selbst. Je nach eigenen inneren Verboten und Selbstregulierungsfähigkeit hindert sich der Klient selbst, eigene Bedürfnisse zu befriedigen, was in meinem Verständnis langfristig zu Burnout, Krankheiten (neben der genetischen Disposition), Frust und Unzufriedenheiten im Leben führen kann.
Die Gestalt bleibt so lange offen, bis der Klient diesbezüglich eine neue Erfahrung in seinem Leben gemacht hat und das jeweilige Thema integrieren konnte. Und genau da setzt die Gestalttherapie an, nämlich, dass zwischen Klient und Therapeut eine Verbindung (Kontakt) entsteht, so dass sich der Klient öffnen kann, um im Kontakt eine neue Erfahrung zu machen. Dafür braucht es einen geschützten und vertrauensvollen Raum, der vom Therapeuten geöffnet und gehalten wird. Die Basis der Gestalttherapie ist somit immer die Beziehungsebene zwischen Therapeut und Klient.
Damit jetzt keine Missverständnisse entstehen: Es geht jetzt nicht darum, mit dem Therapeuten eine Liebesbeziehung oder ähnliches anzufangen. Mit Beziehungsebene meine ich, einen „Herz-Mensch-Kontakt“ zwischen Therapeut und Klienten, d.h. eine Kontaktebene, die auf Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit und Interesse beruht und wo Diagnosen keine Rolle spielen. Wir alle haben diese Herz-Mensch-Verbindung in uns, lassen sie jedoch häufig nicht zu, weil wir Angst haben, verletzt, abgelehnt oder abgewiesen zu werden bzw. weil wir uns dann selbst sowie unseren Schmerz fühlen würden. Gerade im Burnout-Kontext kann die Erfahrung:
- mich selbst wieder zu spüren
- dass mich mein Gegenüber sieht und wahrnimmt
- dass mein Gegenüber im Kontakt bleibt
durchaus überwältigend und sehr nährend sein.
Die Art und Weise, WIE der Klient im Hier und Jetzt aus dem Kontakt mit dem Therapeuten herausgeht, wird hier erforscht und sichtbar gemacht. Denn das, WAS der Klient im Therapeuten-Kontakt macht, wird er auch „draußen“ im Alltag machen. Durch ein sicheres Erforschen und Ausprobieren von neuen Handlungsfeldern können so neue Ressourcen entstehen, die der Klient anschließend in seinen Alltag integriert.
Das ist in meine Kurzfassung und Definition von Gestalttherapie, wobei Gestalttherapie natürlich noch viel, viel mehr ist 😉
Frage: Ich dachte immer, du bist ein Coach. Arbeitest du jetzt auch als Therapeutin oder was machst du jetzt genau? Ist denn bei Burnout ein Coaching oder eine Therapie besser?
Antwort: Ich bin von Hause aus ein systemischer Coach und habe zudem eine mehrjährige Ausbildung zur Gestalttherapeutin absolviert. Wie oben schon beschrieben, ist Gestalttherapie für mich eher eine Haltung, d.h. ich würde mich als systemischer Coach und Mensch mit einer gestalttherapeutischen Haltung bezeichnen. Das ist meine Arbeitsweise bzw. mein Arbeitsverständnis: Systemisches Gestalt-Coaching.
Die meisten Menschen verstehen unter einem Coaching ein „Optimieren“, im Sinne von „ich kann da was nicht, muss mich optimieren und suche mir nun einen Coach, der mir sagt, wie ich jenes erreichen kann“. Das ist nicht mein Verständnis von Coaching. Das wäre für mich eher ein Training. Zudem optimiere ich auch niemanden, weil das in meiner Vorstellung gar nicht geht.
Ich habe mich neulich mit einem Gestalt-Kollegen darüber ausgetauscht, was der Unterschied zwischen Coaching und Therapie ist. Er sagte folgendes:
„Coaching greift auf vorhandene Ressourcen zurück, Therapie erweitert das Ressourcenspektrum“.
Mit der Definition kann ich gut gehen. Das kann ich so unterschreiben, wobei allerdings auch Coaching das Spektrum an Ressourcen erweitern kann und Therapie auf vorhandene Ressourcen zurückgreift. Im Kern stimmt jedoch die Aussage für mich.
In meinen Gestalt-Coachings geht es häufig um beides: Dass der Klient auf vorhandene Ressourcen zurückgreift und neue Ressourcen für sich entdeckt bzw. erweitert – und zwar mittels der gestalttherapeutischen Haltung, d.h. in einer echten „Ich-Du-Begegnung“. Das macht die Sitzungen (online oder offline) so wertvoll.
Welche Form der Begleitung bei Burnout am besten ist, kann ich nicht beantworten, da es dafür keine allgemeingültige Aussage gibt. Für mich sind Menschen, deren Erfahrungswerte und Bewusstheitsgrade so unterschiedlich, dass jeder für sich selbst entscheiden darf, was ihn gerade anspricht und gut tut.
Grundsätzlich mag ich jedoch sagen, dass bei einem akuten Burnout erst einmal Ruhe und Stabilisierung angesagt ist. Das kann mittels eines Klinikaufenthaltes, einer Kur bzw. Reha, Urlaub oder aber auch durch die Begleitung eines Coaches bzw. Therapeuten geschehen.
Manche Menschen klären für sich zuerst einmal die WARUM-Frage und suchen die Ursachen in der Vergangenheit. Andere sind sehr eigenverantwortlich unterwegs und an dem WIE und WAS interessiert, im Sinne von: Was mache ich, um mich selbst zu blockieren?
Jede Therapieform und Begleitungsform hat somit seine Berechtigung. Für mich steht und fällt jedoch der „Erfolg“ einer Therapie, eines Coachings oder sonstiger Begleitungs-Form mit der Kontaktfähigkeit des Coaches / Therapeuten und mit der Beziehungsebene zwischen Begleiter und Klient. Insofern ist für mich bei Burnout die Therapie- bzw. Coaching-Methode erst einmal zweitrangig. Die „Chemie“ sollte einfach zwischen Klient und Therapeut stimmen. Und manchmal braucht es genau diese Erfahrung, dass die Chemie eben nicht stimmt und dass der Klient für sich erkennt, was er nicht möchte. Wenn der Therapeut darauf eingeht, hat er alles richtig gemacht. Wenn der Therapeut / Begleiter dies persönlich nimmt und meint, ER sei hier der (studierte) Experte und wisse, was der Klient braucht, hat er in meinen Augen alles falsch gemacht. Das ist jedoch meine Meinung und wie gesagt: Manchmal braucht es genau diese Erfahrung, um als Klient wachsen zu können.
Zu mir kommen in der Regel Menschen (mit oder ohne Burnout), die entweder mit Therapie oder Coaching noch gar nichts am Hut hatten oder aber Menschen mit jahrelanger Therapieerfahrung. Letztere können die WARUM-Frage sehr gut beantworten, haben jedoch kaum Antwort auf das WIE und WAS. Das schaue ich mir dann mit ihnen an – und an dem Punkt geht es dann für die meisten Menschen in großen Schritten weiter.